Grundlagen

Embedded Vision – ein Überblick

Aufbau und Funktionsprinzip von eingebetteten Systemen

19.01.2021 - Der folgende Beitrag erklärt, wie ein Embedded-Vision-System aufgebaut ist, wo die Unterschiede zu Machine Vision liegen und für welche Anwendungen die Embedded-Technik prädestiniert ist.

Elektronische Komponenten werden immer kleiner und kostengünstiger. Verdeutlicht wird diese Entwicklung, wenn man beispielsweise moderne Laptops oder Tablets mit Rechnern von vor 10 Jahren vergleicht. Herstellern von Produkten oder Systemen kommt dieser Trend zugute: So wird es immer leichter und lukrativer, kleine Rechnereinheiten für spezielle Teilaufgaben einzusetzen und diese im Gehäuse des übergeordneten Systems zu verbauen. Ergebnis: Bauraum und Kosten werden reduziert, neue Funktionen kommen hinzu. Eine solche Rechnereinheit nennt man dann eingebettet (engl.: embedded). Kommt zusätzlich auch Kameratechnik ins Spiel, spricht man von Embedded Vision.

Embedded Vision ist damit ein Teilbereich von Computer Vision und bedeutet, dass ein System sehen und Bilder verarbeiten kann. Es ist kompakter und günstiger als ein klassisches Machine-Vision-System, also ein industrielles Bildverarbeitungssystem. Gleichzeitig erfüllt es aber dessen hohe Anforderungen an die Bildqualität und Spezifikationen.

Machine Vision vs. Embedded Vision

Betrachten wir dazu zunächst ein klassisches Machine-Vision-System, das die Umwelt visuell aufnimmt und einer Rechenvorschrift folgend interpretiert. Der typische Aufbau einer solchen Lösung besteht aus einer Kamera mit Objektiv zur Bilderfassung, einem Kabel, das die Kamera mit einem PC verbindet, und dem PC selbst, oft einem Industrie-PC (IPC). Auf diesem findet die eigentliche Bildverarbeitung statt, die durch die entsprechende Bildverarbeitungs-Software gesteuert wird.

Viele Bildverarbeitungslösungen, die bis dato nur mit hochklassigen Kamera- und PC-Plattformen realisiert werden konnten, können nunmehr alternativ auch embedded aufgebaut werden. Als Recheneinheiten fungieren hier Single-Board-Computer (SBC), sogenannte System-on-Modules (SoM) oder aber auch individuell für ganz spezielle Anforderungen angefertigte Processing Boards. Ein Embedded-Vision-System besteht dann zum Beispiel aus einer Kamera ohne Gehäuse (einer sogenannten Boardlevel-Kamera), die über ein kurzes Kabel direkt an ein solches Processing Board angeschlossen wird. Dieses übernimmt die Aufgaben des PCs der klassischen Machine-Vision-Welt – aus Machine Vision wird Embedded Vision.

Die Grenze zwischen Embedded-Vision- und Standard-Machine-Vision-Systemen ist fließend und erscheint nicht immer ganz eindeutig. Denn ein PC, der in einer großen Maschine oder Anlage für genau eine Inspektionsaufgabe verbaut ist, ist im Prinzip auch eingebettet, wohingegen ein Single-Board-Computer (SBC) durchaus neben der Bildverarbeitung für weitere Ein- und Ausgabeverarbeitung sorgen und so das universelle Herzstück eines Gerätes darstellen kann.
Der Einfachheit halber verstehen wir im Folgenden unter dem Begriff Embedded-Vision-System die Kombination aus einer kompakten (Boardlevel-) Kamera und einem Processing Board, das durch einen SBC oder ein System on Module (SoM) realisiert wird.

Deutliche Unterschiede zwischen klassischem Machine-Vision-System und Embedded-Vision-System sind für den Entwickler der Bildverarbeitungsanwendung spürbar. War beim Machine-Vision-System der Workflow noch nah am PC und meist Entwicklungs- und Zielrechner ein und derselbe, können die Verhältnisse fürs Embedded-System komplizierter werden, da sich Entwicklungs- und Zielsystem in der Regel unterscheiden. Für PC-basierte Machine-Vision-Systeme gibt es auch deutlich mehr standardisierte Bildverarbeitungsbibliotheken als für Embedded-Vision-Systeme. Entwicklungs- und Integrationsaufwände sind also für das Embedded-Vision-System höher. Dafür sind die Kosten für die Hardware eines Embedded-Vision-Systems geringer als für ein klassisches Machine-Vision-System. Für die konkrete Anwendung müssen diese beiden Kostenfaktoren stets gegeneinander abgewogen werden.

Möglichkeiten des Sehens: Die Kamera

Zahlreiche Kameramodule, die auf dem Markt angeboten werden, stammen aus dem Handybereich, der Unterhaltungselektronik- oder dem Automotive-Markt. Diese Module haben in der Regel eine unzureichende Bildqualität. Dies liegt daran, dass sie oftmals nur ein schönes Bild liefern müssen, das teilweise auch in der Applikation durch Software-Einsatz nachgeschönt und für das menschliche Auge optimiert wird. Für Computer-Vision-Anwendungen ist diese Bildqualität hingegen oft nicht ausreichend. Hier zählt der tatsächliche Informationsgehalt eines Bildes, sodass diese Module oft an ihre Grenzen stoßen. Darüber hinaus stehen diese Kameramodule teilweise nur in großen Abnahmemengen zur Verfügung.

Viele Industriekamerahersteller bieten aber auch Kameramodule nach professionellem Standard und zum Teil mit industriellen Sensoren für Embedded-Anwendungen an. Solche Module bieten eine Bildqualität, die für Machine-Vision-Anwendungen mit der entsprechenden Bildverarbeitung geeignet ist, sondern auch die Langzeitverfügbarkeit, die für die meisten Produkte notwendig ist. Solche professionellen Kameramodule werden oftmals auf einer einzelnen Platine mit oder ohne Objektivanschluss angeboten (Boardlevel-Kamera).

Ein weiteres Plus beim professionellen Kameramodul sind die umfangreiche Bedien- bzw. Steuerungsmöglichkeiten, welche bei der Verwendung in einem System unabdingbar sind. Dazu zählen spezielle Trigger-Optionen (Software-/Hardware-Trigger) oder Bildausgabeformate und integrierte Funktionen zur Bildvorverarbeitung (z.B. Debayering, Denoising, Fixed-Pattern-Correction etc.), die das Host-System bei der Bildverarbeitung deutlich entlasten. Dagegen liefern einfache Kameramodule nur die rohen Sensordaten, die danach noch optimiert oder verrechnet werden müssen.

Welche Anwendungen gibt es?

Es gibt offensichtliche Vorteile eines Embedded-Vision-Systems: geringer Platzbedarf und eine relativ geringe Leistungsaufnahme, zum Beispiel für mobile Systeme. Den wesentlichen Unterschied zu Machine-Vision-Systemen kann man wie folgt zusammenfassen: Embedded-Vision-Systeme haben deutlich geringere Stückkosten, erfordern aber in der Regel einen höheren Integrationsaufwand und damit größere Entwicklungskosten. Mittlerweile sind aber sowohl Hersteller von Processing Boards als auch Hersteller von Kameramodulen dabei, diese Integrationsaufwände zu verkleinern. Zum Beispiel indem Standards definiert oder universelle Integrationslösungen angeboten werden.

Dadurch, und weil die genannten Komponenten immer preisgünstiger werden, ist es einerseits möglich, günstigere Lösungen für bestehende Produkte bzw. Anwendungen zu schaffen. Andererseits ergeben sich durch geringe Baugröße und geringen Preis  auch viele neue Anwendungsmöglichkeiten, die erst durch Embedded Vision profitabel umgesetzt werden können.

Embedded-Vision-Systeme ermöglichen es somit, neue Märkte und Anwendungen zu erreichen, die ansonsten ohne Vision auskommen müssen. Neue kompakte und mobile Geräte der Medizindiagnostik, intelligente Systeme im Bereich Verkehr (Gefahrenerkennung), kleine Produkte für Smart-Home-Anwendungen oder smarte/mobile Module zur Fertigungsinspektion (Qualitätskontrolle) sind hierfür Beispiele.

Fazit: Embedded-Vision-Lösungen im Kommen

Die Entwicklung von Embedded-Vision-Systemen wird bestimmt durch die Optimierung von Integrations- und Herstellungskosten. In den kommenden Jahren werden mehr und mehr Embedded-Vision-Lösungen den Markt erschließen und für kleinere, leichtere und höher integrierte Designs sorgen, die immer öfter ohne klassischen PC auskommen. Sie ermöglichen auch, stationäre Vision-Anwendungen mobil oder tragbar zu machen. Embedded Vision wird helfen, bestehende Vision-Systeme preisgünstiger umzusetzen und zusätzlich neue Anwendungsfelder zu erschließen, die heute noch ganz ohne Kameratechnik auskommen müssen.

Autor
Thomas Rademacher, Product Market Manager

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